Phase Eins des digitalen Euro ist abgeschlossen
– Zentralbankgeld für jedermann –
“Niemand hat die Absicht, . . . . . “
Stand: 23.10.2023
Beitrag von Prof. Dr. Dirk Meyer
Zielstrebig, aber ohne Eile – die Europäische Zentralbank (EZB) treibt die Einführung des digitalen Euro voran. Der Prozess begann im Oktober 2021 als Untersuchungsphase mit der Sondierung einer möglichen Ausgestaltung und Bereitstellung eines Digitalformats. Letzte Woche entschied der EZB-Rat, in eine Vorbereitungsphase für einen e-Euro einzusteigen, die ebenfalls auf zwei Jahre ausgelegt ist. Hier sollen das Regelwerk ausgearbeitet und Anbieter für die Entwicklung einer Plattform und die notwendige Infrastruktur ausgewählt werden. Zudem soll die Anwendung des Digitalgeldes getestet werden, damit das Ergebnis „den Anforderungen des Eurosystems als auch den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer gerecht wird, beispielsweise in Bezug auf Nutzungserlebnis, Datenschutz, finanzielle Inklusion und ökologischen Fußabdruck“ (EZB-Pressemitteilung). Doch sicher ist seine Einführung damit keineswegs. Denn nicht nur die EZB plant und entwirft. Es braucht eine EU-gesetzliche Grundlage, die die Europäische Kommission mit dem „Verordnungsentwurf über die Einführung des digitalen Euro“ bereits im Juni vorgelegt hat (JF 28/23). Dem müssen das EU-Parlament und der EU-Rat nach mehreren Beratungsrunden zustimmen. Schließlich müssen in einigen Mitgliedstaaten auch die nationalen Parlamente einwilligen. Von daher laufen beide Prozesse – Gesetzgebung und Gestaltung des e-Euro – parallel, damit es nicht zu unnötigen Zeitverzögerungen kommt. Bundesbankpräsident Joachim Nagel ist zuversichtlich, „dass wir in circa fünf Jahren mit dem digitalen Euro bezahlen werden“.
Wie funktioniert der e-Euro?
Mit dem e-Euro würde eine dritte Geldform neben Bar- und Giralgeld geschaffen werden (siehe Graphik). Konzeptionell ist der e-Euro eine digitale Form von Bargeld, die – neben Banknoten und Münzen – für alle Bezahlvorgänge als gesetzliches Zahlungsmittel im Euroraum genutzt werden kann. Hierzu wird für jeden Nutzer ein digitales, von den Geschäftsbanken verwaltetes Notenbankkonto eingerichtet, auf das der Nutzer mit seiner sogenannten elektronische Geldbörse (“Wallet”) als App auf dem Smartphone oder dem Computer zugreifen kann. Der eigentliche Bezahlvorgang soll online und offline möglich sein, so dass letztere Variante auch relativ anonym und bei eingeschränkter Internetverbindung nutzbar ist. Späterhin ist auch eine digitale Euro-Geldkarte geplant. Als eine Form von Zentralbankgeld wäre der e-Euro, wie bislang lediglich Banknoten und Münzen, ausfallsicher, denn das Giralgeld auf den Konten der Geschäftsbanken unterliegt einem Insolvenzrisiko. Dieses, auch von der EZB angeführte Argument ist jedoch angesichts der Einlagensicherung bis 100.000 Euro kaum tragfähig, da eine Obergrenze von 3.000 Euro für den e-Euro diskutiert wird. Eine relativ niedrige Obergrenze wird für die Finanzstabilität im Krisenfall allgemein als notwendig erachtet, da sonst eine Umschichtung von Bankeinlagen in Zentralbankgeld erfolgen würde. Doch ob ein ‚Bank Run‘ per Tastenklick oder durch Abheben von Bargeld stattfindet, ist allenfalls ein logistischer Unterschied für die EZB, sollte sie sich für eine Bankenstützung entscheiden (müssen). In beiden Fällen müsste sie für die taumelnden Geschäftsbanken mit Zentralbankgeld in „Vorkasse“ gehen. Allerdings würden die Banken einen Teil ihres Geschäfts verlieren. Insbesondere wäre ihre Fähigkeit zur Kreditvergabe stark eingeschänkt, da sie hierfür Zentralbankgeld benötigen, das jetzt durch den e-Euro gebunden wäre. Wer könnte die übernehmen? Die generell bewährte Aufgabenteilung zwischen Privatwirtschaft und Zentralbanken ginge verloren, ohne dass die Lücke geschlossen würde. Auch deshalb plädiert die Dachorganisation ‚Deutsche Kreditwirtschaft‘ für einen “unteren dreistelligen Eurobereich”.
Benötigen die Bürger überhaupt ein digitales gesetzliches Zahlungsmittel?
Für Peter Bofinger, bis 2019 Mitglied des Sachverständigenrats, ist die Antwort in seinem Gutachten für die österreichische Großbank ‚Erste Group Bank AG‘ klar: Der digitale Euro sei so unattraktiv wie alkoholfreier Wein, da keinerlei relevante Vorteile gegenüber bestehenden elektronischen Zahlungsanbietern bestehen würden. Ignazio Angeloni, ehemaliger EZB-Direktor, benennt ein mögliches Motiv: „Wir haben etwas erlebt, dass die Amerikaner ‚fear of missing out‘ nennen – die Angst nicht dabei zu sein und als technologisch rückständig zu gelten.“ Schließlich proben verschiedene Zentralbanken ähnliches – nicht immer erfolgreich, wie die mangelnde Akzeptanz des chinesischen E-Yuan zeigt.
Vor- und Nachteile des E-Euro
Beworben wird der e-Euro mit der Kostenlosigkeit, denn die Verbraucher würden keinerlei Gebühren bei Nutzung des Digitalgeldes zahlen. Da die neue, zusätzlich errichtete Infrastruktur des Zahlungssystems selbstvertändlich Kosten verursacht und die Händler dafür zahlen müssen, kommt es zur Kostenüberwälzung auf den Kunden – nur der merkt es nicht offensichtlich. Vielfach wird dem e-Euro als Instrument zur aktiven Verdrängung des Bargeldes und zur Kontrolle der Bürger misstraut. „Nein, Bargeld und digitaler Euro würden nebeneinander existieren. Ein digitaler Euro würde das Bargeld ergänzen, es aber nicht ersetzen“, so verlautet es aus der Bundesbank. Und tatsächlich wird derzeit ein EU-Verordnungsentwurf diskutiert, indem es heißt, der Zahlungsempfänger darf “Euro-Banknoten und/oder -Münzen, die zur Erfüllung einer Zahlungsverpflichtung angeboten werden, nicht ablehnen”. Allerdings sind Ausnahmen vorgesehen: Geldwäschegrenzen und ‚ex-ante-Ausschlüsse‘, indem ein Geschäft oder Lokal sichtbar den Hinweis „No Cash“ aufstellt. Unverhältnismäßig wäre dies jedoch bei großen Handelsketten. Demnach ist der Unterschied zur heutigen Situation kaum merklich. Zwar versichert die EZB, dass sie „keinen Zugriff auf personenbezogene Daten und … anhand von Zahlungsinformationen auch keine Rückschlüsse auf einzelne Personen ziehen“ könne, doch setzt der e-Euro die Verwendung eines Kontos voraus. Nur die Offline-Variante würde der Anonymität des Bargeldes in etwa entsprechen. Zudem soll der e-Euro nicht programmierbar sein, um bspw. dessen Nutzung einzuschränken, Sanktionslisten umzusetzen oder seinen Wert zu reduzieren. Doch wie hieß es am 15. Juni 1961 „Niemand hat die Absicht, …!“ Die Voraussetzungen wären gegeben.
Prof. Dr. Dirk Meyer
Institut für Volkswirtschaftslehre
Lehrstuhl für Ordnungsökonomik
Helmut-Schmidt-Universität
Universität der Bundeswehr Hamburg
22043 Hamburg
Literatur
Aufsätze und Monographien