Der Rettungsschirm
Der Rettungsschirm ESM (European Stability Mechanism) ist der bisherige Endpunkt einer Entwicklung, die das gegenteilige Ergebnis von dem hervorgebracht hat, was sich die Väter des Euro einst erdacht hatten. Am Beginn der Währungsunion stand die Nicht-Beistandsregel („no-bailout rule“), nach der Mitgliedsländer der Eurozone nicht für Verbindlichkeiten anderer Mitgliedsstaaten haften (durften). Mit den Hilfskrediten an Griechenland wurde diese Regel jedoch gebrochen.
Es folgten unterschiedliche Formen des sogenannten Euro-Rettungsschirms, die immer höhere Summen bereitstellten: EFSM, EFSF und ESM. Der Zweck war letztendlich aber immer derselbe: Mitgliedsstaaten, die sich an den Märkten gestiegenen Zinsforderungen gegenübersahen, bekamen günstigere Kredite als am Kapitalmarkt. Im Gegenzug mussten sie sich zu Strukturreformen verpflichten. Wenn die Strukturreformen unbefriedigend blieben, wurde dies nicht etwa sanktioniert, sondern die Staaten wurden durch weitere Kredite „belohnt“.
Verankerung im Unionsrecht
Nun soll der institutionalisierte Regelbruch auf die nächste Stufe gehoben werden. Nicht nur die EU-Kommission, auch das EU-Parlament und diverse Staaten der Eurozone (darunter Frankreich) wollen den ESM in einen Europäischen Währungsfonds (EWF, englisch: European Monetary Fund (EMF)) umwandeln und ihn im Unionsrecht verankern. Was zunächst einmal harmlos klingt, hat in Wahrheit tiefgreifende Auswirkungen.
Der ESM war ein zwischenstaatlicher Vertrag. Hätte sich Deutschland nicht weiter an der Rettungspolitik beteiligen wollen, hätte es einfach den Vertrag kündigen können. Wird der EWF im Unionsrecht verankert, lässt sich die Beteiligung daran nicht mehr kündigen. Es sei denn, man träte aus der Europäischen Union aus. Aber niemand will vermutlich das Kind mit dem Bade ausschütten. Insofern ist der EWF dann unwiderruflich.
Erweitertes Instrumentarium
Doch nicht nur die veränderte rechtliche Grundlage spielt eine Rolle. Ebenso wichtig ist die Erweiterung der Aufgaben des EWF. Dieser soll nämlich künftig auch die makroökonomische Überwachung der Mitgliedsstaaten und die fiskalische Kontrolle übernehmen. Das könnte zu einem erheblichen Souveränitätsverlust der Mitgliedsstaaten führen: Die nationalen Parlamente wären in ihrem Budgetrecht eingeschränkt und wären in wirtschaftspolitischen Maßnahmen abhängig von Vorgaben der EU bzw. des EWF.
Zu den vorgesehenen neuen Aufgaben des EWF kommen möglicherweise noch ganz andere hinzu. Die Kommission hat schon im Gesetzesentwurf Gedankenspiele angestellt, wonach der EWF künftig auch eine Stabilisierungsfunktion wahrnehmen könnte. Von Schocks betroffene Länder könnten dann einfacher an Kredite kommen, die von allen Mitgliedsstaaten garantiert werden würden.
Hier muss man befürchten, dass ähnlich verfahren werden würde wie bei den Hilfen für Griechenland. Juristisch beruhten diese auf einem Artikel der EU-Verträge, wonach sich Mitgliedsländer bei Ereignissen, die sich ihrer Kontrolle entziehen (wie z. B. Naturkatastrophen) gegenseitig helfen können. Ähnlich würde der EWF dann wohl auch künftig handeln: Krisen würden niemals als Folge schlechten Regierungshandelns angesehen werden, sondern wie gottgewollte Katastrophen ohne eigenes Zutun der verantwortlichen Regierungen. Viele Transfermilliarden könnten so in die Krisenstaaten fließen.
Merkels Widersprüche
Was Frau Merkel in diesem Zusammenhang am 3. Juni 2018 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zum EWF gesagt hat, ist inhärent widersprüchlich: Staaten, die durch „äußere Umstände“ in Schwierigkeiten geraten seien, sollten EWF Kredite „immer unter Auflagen“ bekommen. Aber welche Auflagen will man denn einem Staat auferlegen, dessen Schwierigkeiten auf „äußere“ (also von ihm nicht steuerbare) Umstände zurückzuführen sind?
Und umgekehrt: Ein Staat, der sich an alle Regeln gehalten hat, ist solide und kreditwürdig. Wenn er durch „äußere Umstände“ in Schwierigkeiten kommt, kann er doch selber am Kapitalmarkt Kredite aufnehmen. Dafür braucht der Staat keinen EWF. Schon gar nicht dann, wenn der EWF die Kredite nur unter Auflagen gäbe, die der Staat als Fremdbestimmung ansehen müsste.
Keine Demokratische Legitimation
Schon der Rettungsschirm war ein großer Schritt in die völlig falsche Rechnung. Er war ein wichtiger Baustein einer Transferunion, die durch die Umwandlung des ESM in einen EWF noch gestärkt würde. Für eine Transferunion gibt es keine demokratische Legitimation, denn verantwortlich und demokratisch gewählt sind die nationalen Regierungen. Das Europaparlament aber ist nicht befugt, über die Steuereinnahmen der Mitgliedsländer zu entscheiden – und ein demokratisch nicht kontrollierter Europäischer Währungsfonds ist dies noch viel weniger.