Interview des Vorsitzenden von BBW, Ravel Meeth, mit Prof. Dr. Dirk Meyer (Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg)

16.03.2025

BBW: Herr Professor Meyer, die von der CDU/CSU und SPD geplante Grundgesetzänderung wird zu einer Neuverschuldung in neue Dimensionen führen. Gibt es Schätzungen, welchen Umfang diese haben könnte?

Meyer: Nach meiner vorläufigen Rechnung (siehe Tabelle 1) könnten zusätzliche Kredite in Höhe von über 1.713 Mrd. Euro bis Ende 2036 auf die zukünftige Generation zukommen. Außerdem entsteht eine zusätzliche Zinslast, wobei offen ist, ob die über den Normalhaushalt oder auch über zusätzliche Schulden zu decken ist. In jedem Fall wird diese Zinslast die Haushaltsspielräume zukünftiger Regierungen und Generationen einschränken. Bei einem Schuldenstand von 2.489 Mrd. Euro (30.09.2024) würden die Schulden um 69 % ansteigen – auf 4.202 Mrd. Euro ohne Einbezug der zusätzlichen Zinslast. Damit läge die Schuldenstandsquote 2036 unter Einbezug eines etwaigen, aber geringen Wachstums bei über 90 %/BIP gegenüber derzeit etwa 63 %/BIP.

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Tabelle 1: Kalkulation einer möglichen Neuverschuldung bis 20361)

  1. Infrastruktur-Fonds: 500 Mrd.

  2. Ausnahmeregel Verteidigung: Annahme 3 %/BIP Verteidigungsausgaben

davon 2 %/BIP über Neukredit ergibt 86 Mrd. Euro jährlich x 12 Jahre = 1.032 Mrd. Euro

  1. Ausnahmeregel Bundesländer: 0,35 %/BIP für die Länder x 43 Mrd. Euro jährlich x 12 Jahre = 181 Mrd. Euro

  2. Zinsen bei einem angenommenen Zinssatz von 3 % p.a. über die Laufzeit von linear 12 Jahren: 365 Mrd. Euro

Fazit: Schuldenanstieg in zwölf Jahren um 1.713 Mrd. Euro plus Zinsen i.H.v. 365 Mrd. Euro (Annahme: Zinssatz 3 % p.a.)

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  1. Die Kalkulation bezieht sich auf die Laufzeit des Infrastrukturfonds.

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BBW: Wie sehen Sie die Aufrüstungsanstrengungen national und EU-weit unter verteidigungs- und friedenspolitischen Gesichtspunkten?

Meyer: Deutschland und Europa müssen eine eigene Verteidigungsfähigkeit aufbauen, um sich militärisch gegen Angriffe zur Wehr setzen zu können, falls die USA ihre Bündnisverpflichtungen kündig oder nicht einhält. Doch muss zuvorderst geklärt werden, was Landes- und europäische Bündnisverteidigung im Jahr 2025 und in den nächsten Jahren erfordern. Russland ist Kriegsgegner der Ukraine. Doch ist er auch militärischer Kriegsgegner der NATO, wie bislang unterstellt wird? Dazu gehören zwei Dinge: ein Können und ein Wollen Russlands. Der Verlauf des dreijährigen Ukraine-Krieges lässt zumindest Zweifel am zukünftigen Angriffspotenzial Russlands aufkommen. Sicherheit beruht auf Gegenseitigkeit und darf nicht auf der Unsicherheit eines anderen Staates aufgebaut werden. ‚ReArm Europe‘, das geplante EU-Rüstungsprogramm, und die deutsche Vorreiterrolle hinsichtlich von Rüstungsschulden könnten der Anfang einer unkalkulierbaren Aufrüstungsspirale werden. Es wäre sicherlich besser, wenn es zu einer Verständigung mit Russland und zu einer Friedensregelung für die Ukraine käme, sodass das militärische Säbelrasseln wieder abklingt. Wir haben dazu bspw. einen Gegenentwurf mit unserem Vorschlag zu einem Friedensplan für die Ukraine gemacht https://hamburger-friedensinitiative.de/ 

BBW: Auch die EU plant eine weitere Aufweichung der Schuldenregel des Stabilitäts- und Wachstumspaktes (SWP), der bereits heute durch die im Laufe der Jahre eingefügten Reformen kaum mehr wirkt. Wie sehen Sie die Initiative ‚ReArm Europe‘ aus ökonomischer Sicht?

Meyer: Obwohl die Rückzahlung des 809 Mrd. Euro kreditfinanzierten Wiederaufbaufonds NGEU aus COVID-Zeiten bislang völlig offen ist, plant die EU neue Schulden i.H.v. 800 Mrd. Euro für Verteidigung durch ‚ReArm Europe‘. Zum einen will sie den EU-Mitgliedstaaten mehr Möglichkeiten geben, dass diese durch neue nationale Schulden (650 Mrd. Euro) mehr für ihre Verteidigung tun können. Darüber hinaus sind Eurobonds, also Gemeinschaftsschulden mit Gemeinschaftshaftung im Gespräch (150 Mrd. Euro). Deutschland könnte seine AAA-Bonität mittelfristig verlieren, was den Bonitätsanker für schwächere Mitgliedstaaten belasten würde. Eine erneute Euro-Staatsschuldenkrise wäre nicht ausgeschlossen. Schon jetzt haben die EU-Schulden einen Umfang von 1.221 Mrd. Euro, für die Deutschland bzgl. der meisten Programme mit ca. 25 % haftet. Da beim Wiederaufbaufonds eine gesamtschuldnerische Haftung vorliegt, würde die Haftung hier gar bei 100 % oder 809 Mrd. Euro liegen – zumindest hypothetisch. Wenn Deutschland jetzt national die Schuldenbremse erheblich lockert, gäbe das bislang fiskalisch solideste Land ein ganz schlechtes Beispiel mit Rückwirkungen.

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Tabelle 2: EU-Gemeinschaftsschulden in Mrd. Euro (Stand 31.12.2024)

Europäischer Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) 48,5

Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) 188,2

Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) 78,9

EU-Kurzarbeiterhilfe SURE 98,4

NextGenerationEU 806,9

Summe 1.220,9

Quelle: eigene Berechnung

Belege:

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Copyright Bündnis Bürgerwille, 2023

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