Abschöpfung leistungsloser Zinserträge der Geschäftsbanken – Eine notwendige Folge der EZB- Anleihekäufe?
31.10.2024
von Prof. Dr. Bernd Lucke und Prof. Dr. Dirk Meyer | 31. Oktober 2024
Eine Langfassung des Artikels ist unter https://www.hsu-hh.de/ordnung/aufsaetze zu erreichen.
Die Notenbanken des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) haben durch die Politik der quantitativen Lockerung (Quantitative Easing, QE) gewaltige Mengen an Überschussliquidität geschaffen. Diese Überschussliquidität wird von den Geschäftsbanken der Eurozone gehalten und befindet sich derzeit überwiegend in der sog. Einlagefazilität auf Konten der nationalen Notenbanken.
Dort verfügen die Geschäftsbanken der Eurozone über so große Mengen an brachliegender Liquidität, dass praktisch keine Bank sich mehr Geld bei der EZB leihen muss. Deshalb hat der Hauptrefinanzierungszins seine Steuerungsfunktion als Leitzins völlig verloren. Stattdessen übernimmt jetzt der Einlagezins eine Leitfunktion als ‚Zinsboden‘, denn zu einem niedrigeren Zins wäre keine Bank bereit, ihr Geld zu verleihen. Umgekehrt heißt dies, dass die EZB den Banken einen hohen Einlagezins zahlen muss, um zu verhindern, dass diese ihre Einlagen abziehen und gegen höher verzinste Anlagen auf dem Kapitalmarkt eintauschen. Denn dadurch würde die Geldmenge steigen und der Kapitalmarktzins massiv sinken – vor dem Hintergrund des angestrebten Inflationsziels ein geldpolitisch unerwünschtes Szenario.
Im Bezug auf die Aktiva der beteiligten Akteure bestand QE im Wesentlichen aus einem Tauschgeschäft. Das ESZB erwarb Schuldverschreibungen mit Zinsfestschreibung und schuf dafür in den Bilanzen der Geschäftsbanken Vermögenswerte mit flexibler Verzinsung (Reserven). Dieser fixed-to-flexible rate Swap belastet das ESZB genau solange, wie es der Laufzeit bzw. bei vorfälligem Verkauf der Haltedauer der mit einer niedrigeren Endfälligkeitsrendite erworbenen Wertpapiere im Besitz des ESZB entspricht. Die erwarteten Barwerte wären in beiden Fällen gleich.
Stand September 2024 sind in der Einlagefazilität der EZB 3.016 Mrd. EUR zu einem Zins von 3,5 Prozent geparkt – risikofrei und völlig liquide. Diese enormen Guthaben der Banken entstanden, weil die EZB im Rahmen von QE den Banken große Mengen an seinerzeit außerordentlich niedrig verzinslichen Staatsanleihen abkaufte. Doch während die Zinssätze auf Staatsanleihen bis zum Ende ihrer Laufzeit fest sind, musste die EZB die Verzinsung für die Einlagen seit 2022 sukzessive von minus 0,5 auf zunächst 4,0 Prozent anheben, um der Inflation entgegenzuwirken. Trotz der Zinswende, mit der auch der Einlagezins auf aktuell 3,5 Prozent fiel, entstehen der Bundesbank und anderen Zentralbanken des ESZB-Systems seither hohe Verluste, denn den hohen Zinszahlungen an die Geschäftsbanken stehen nur sehr geringe Erträge aus Staatsanleihen gegenüber. So lag die durchschnittliche Verzinsung der von der Deutschen Bundesbank (BBk) gehaltenen Anleihen vergangenes Jahr gerade mal bei 0,37 Prozent, während die zu leistenden Zinsen auf die Einlagen der Geschäftsbanken im Jahresdurchschnitt 3,27 Prozent betrugen. Die negative Zinsmarge von -2,90 Prozentpunkten führte bei der BBk per Saldo zu einem negativen Zinsergebnis von minus 19,1 Mrd. EUR – der Löwenanteil des für 2023 ausgewiesenen operativen Bundesbank-Verlusts von insgesamt 21,6 Mrd. EUR. Dies entspricht einem halben Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Auch die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) erzielte einen Jahresfehlbetrag von 2,2 Mrd. EUR, was ebenfalls ungefähr ein halbes Prozent des BIPs darstellt.
Verluste der Notenbanken und leistungslose Zinserträge der Geschäftsbanken
Für das gesamte Eurosystem liegen nach unseren Berechnungen die im Jahr 2023 vom ESZB-System geleisteten Zinsen auf Einlagen bei ca. 132 Mrd. EUR.[1] Die OeNB hat davon etwa 3,5 Mrd. EUR ausgezahlt, die BBK 41,1 Mrd. EUR. Diese Zinseinkommen erhalten die Geschäftsbanken ohne erkennbare Gegenleistung: Die Zentralbankeinlagen finanzieren weder Investitionen noch Konsum, sind völlig liquide und als Zentralbankgeld ausfallsicher. Es handelt sich um eine Art bedingungsloses Grundeinkommen, das freilich allein notenbankfähigen Kreditinstituten zugutekommt.
Da die EZB beabsichtigt, ihre Geldpolitik auch künftig durch die Verzinsung großer Überschussreserven zu steuern, werden die Geschäftsbanken der Eurozone auf Jahre hinaus leistungslose Zinseinkommen in ähnlicher Größenordnung empfangen. Demgegenüber müssen gerade die Notenbanken der soliden Euroländer empfindliche Verluste verbuchen, weil deren Staatsanleihen in ihrem Wertpapierportfolio nur außerordentlich geringe Erträge abwerfen.
Die Zinseinnahmen der Notenbank aus Staatsanleihen sind Einnahmen der Zentralbank. Ausgabenseitig sind sie Ausgaben der Regierung. Aus gesamtstaatlicher Sicht – der Staat ist Eigentümer seiner Notenbank – sind sie daher irrelevant (linke Tasche – rechte Tasche). Hingegen sind die Zinseinnahmen der Geschäftsbanken aus Zentralbankeinlagen der Einlagefazilität sowohl für die Notenbank, als auch für den gesamten Staatssektor negativ ertragswirksam. Damit entsteht ein gewisser Druck auf die EZB hin zu einer fiskalisch ausgerichteten Geldpolitik mit eher niedrigen Zinsen und c.p. höherer Inflation.
Den Schaden haben die Staatshaushalte in Form von reduzierten oder völlig ausfallenden Dividendenzahlungen ihrer Notenbanken. In Deutschland könnte es sogar dazu kommen, dass der Bund Kapitalzuschüsse als Anstaltslast in seiner Verantwortung für die Bundesbank leisten muss (Art. 88 Satz 2 Grundgesetz), wenn deren Verluste das Eigenkapital aufzehren und sie beispielsweise aus währungspolitischen Gründen nicht mit Verlustvorträgen arbeiten will. In jedem Fall gehen die Einnahmeausfälle der Staatshaushalte zu Lasten der Steuerzahler.
Den Verlusten der nationalen Zentralbanken stehen entsprechend hohe Zinserträge der Geschäftsbanken aus ihren Zentralbankguthaben gegenüber. Zwar sind diese der Höhe nach für einzelne Kreditinstitute im Allgemeinen nicht bekannt. Aus den Geschäftsberichten lässt sich jedoch in Einzelfällen abschätzen, welche Bedeutung die Verzinsung der Zentralbankeinlagen auf die Ertragssituation hat. Eigene Berechnungen auf der Grundlage der konsolidierten Bilanz der Deutschen Bank 2022 kommen gegenüber 2014, dem Beginn von QE, auf eine um etwa 100 Mrd. EUR erhöhte Reservehaltung. Im Folgejahr 2023 hat die Bank bei einem durchschnittlichen Zinssatz der Einlagefazilität von 3,4 Prozent demnach aus völlig risikofreien und absolut liquiden gehaltenen Aktiva geschätzt ein Zinseinkommen von rund 3,4 Mrd. EUR erzielt. Dies übersteigt den durchschnittlichen jährlichen Konzerngewinn der fünf vorangegangenen Jahre 2018 bis 2022 in Höhe von 2,78 Mrd. EUR. Demnach haben nur die Erträge aus Einlagen einen Verlustausweis verhindert.[2] Unter der Annahme eines „weiter so“ (Restlaufzeit des Staatsanleiheportfolios des ESZB zum 31.12.2023 etwas über 7 Jahre; keine weiteren Wertpapierankäufe der EZB; damit einhergehend eine Abschmelzung der gegenwärtigen Bestände (respektive Reserven) über 15 Jahre linear auf null; Einlagezins im Durchschnitt dieser 15 Jahre 3 %) würde die Deutsche Bank auf einen Barwert der Zinseinkommen von 21 Mrd. EUR kommen – ohne jegliches Risiko. Für andere Banken dürften sich ähnliche Abschätzungen vornehmen lassen.
Steuerliche Abschöpfung – Banken-Soli
Sowohl aus gesellschaftlicher als auch aus marktwirtschaftlicher Sicht halten wir es für geboten, der ungerechtfertigten Alimentierung des Bankensektors entgegenzutreten. Wir schlagen deshalb vor, diese leistungslosen Zinseinkommen der Geschäftsbanken durch geldpolitisch unschädliche steuerliche Maßnahmen abzuschöpfen.
Umzusetzen ist dies vorzugsweise als gewinnneutrale Besteuerung der Geschäftsbanken, zu beschließen als einfachgesetzliche Maßnahme durch den nationalen Gesetzgeber. Gewinnneutral bedeutet dabei, dass die Steuerlast im Prinzip um genau den Betrag erhöht wird, der den bspw. in Deutschland und Österreich steuerpflichtigen Banken jährlich als ungerechtfertigtes, leistungsloses Zinseinkommen aus dem ESZB-System zufließt.
Natürlich darf diese Besteuerung die Geldpolitik der EZB nicht beeinträchtigen. Deshalb scheidet eine direkte Besteuerung der Zinserträge aus den Einlageguthaben aus. Denn sonst würden die Einlagen aufgelöst und in andere Anlagen investiert werden – mit der unerwünschten Folge eines sinkenden Kapitalmarktzinses. Stattdessen bedarf es einer Steuerbemessungsgrundlage, die keine Ausweichreaktionen hervorruft und deshalb keine negativen Rückwirkungen auf die Geldpolitik der EZB haben kann.
Hierfür bietet es sich an, die leistungslosen Zinseinkommen jeder Geschäftsbank unter Bezug auf deren Reserveguthaben an einem in der Vergangenheit liegenden Stichtag, z. B. dem 31.12.2022 (dem Jahr der Zinswende und dem vorläufigen Stopp der QE-Nettoankäufe) als dauerhaft gültige Bemessungsgrundlage zu ermitteln. Da die QE-Bestände planmäßig abgeschmolzen werden und auch der Einlagezins ggf. weiter sinken könnte, wäre der Steuersatz jährlich so anzupassen, dass das Steueraufkommen genau den jeweils vom Eurosystem geleisteten Zinszahlungen entspricht.
Dem steht nicht entgegen, dass die Geschäftsbanken ihre Reserveguthaben aktiv nutzen könnten, um mit ihnen andere Wertpapiere zu erwerben. Zwar weicht dann der tatsächliche Reservebestand von dem (historischen) Bestand ab, der der Besteuerung zugrunde liegt. Doch der erwartete Barwert der erworbenen Wertpapiere ist derselbe wie der der dafür hingegebenen Überschussreserven. Daher behält die Bank stets den Gegenwert des heutigen und künftigen Zinsvorteils. Eine Steuer, die auf Basis fiktiver Zinseinkommen aus Überschussreserven erhoben wird, hat deshalb bis zum vollständigen Abbau der QE-Bestände genau die erwünschten Wirkungen.
Sie könnte zu Recht als Banken-Soli bezeichnet werden, denn sie fordert die Solidarität der Banken mit allen anderen Steuerzahlern, die nicht die Möglichkeit haben, leistungslose Einkünfte auf Konten der Zentralbank zu erzielen.
Dem EU-Recht widerspricht eine solche Besteuerung nicht. Zwar verbietet es diskriminierende Entlastungen, nicht aber eine Besteuerung, die rechtfertigungsfähig ist. Da notenbankfähige Kreditinstitute gegenüber allen anderen Bürgern und Unternehmen privilegiert behandelt werden und sich dies für diese in erheblichen monetären Vorteilen (Windfall Profits) niederschlägt, ist die vorgeschlagene erhöhte Besteuerung nur der begünstigten Banken gut zu begründen – und sicherlich viel besser als der gegenwärtige Verzicht darauf. In der heutigen Situation stellt sich vielmehr die Frage, ob die leistungslosen Zinseinkommen nicht eine verdeckte und nach EU-Recht unzulässige Beihilfe darstellen. Zudem eine Beihilfe, die von keinem Parlament beschlossen wurde und deshalb jeglicher demokratischer Legitimation entbehrt.
Im Übrigen wäre es natürlich wünschenswert, eine solche steuerliche Abschöpfung international (z. B. im Rahmen der OECD) zu koordinieren, um Wettbewerbsnachteile und steuervermeidende Ausweichreaktionen zu verhindern. Die Chancen dafür dürften gut stehen: In allen OECD-Staaten fließen derzeit leistungslose Zinseinkommen an die jeweiligen Geschäftsbanken – zum Schaden der nationalen Haushalte und Steuerzahler.
[1] Berechnung: Einlagemittel 2023 (4.522 + 3.549)/2 x 3,27 % p.a. = 131,96 Mrd. EUR. Infolge des Tiering-Systems sind im Euroraum kleinere nationale Abweichungen zu den der Bundesbank-Angabe zum Einlagezins anzunehmen.
[2] Siehe im Detail Lucke u. Meyer (2024), S. 254 ff.
Literaturhinweise
Aufsätze und Monographien
▪ Arnold, Martin (2023), Bundesbank looks to aid savers by cutting lenders’ interest payments, Financial Times, 17.11.2023, https://www.ft.com/content/613dc842-1b53-49e5-921a-d1eb5e46931f (Abrufdatum 20.02.2024).
▪ Deutsche Bundesbank (2023), Monatsbericht, März 2023, 75. Jg. (2023), H. 3, Frankfurt a.M.
▪ Deutsche Bundesbank (2024a), Der Jahresabschluss der Deutschen Bundesbank für das Jahr 2023,Geschäftsbericht 2023, veröffentlicht am 23.2.2024, https://publikationen.bundesbank.de/publikationen-de/berichte-studien/ geschaeftsberichte/geschaeftsbericht-2023-923828?article=der-jahresabschluss-der-deutschen-bundesbank-fuer-das- jahr-2023-924248#Tab11 (Abrufdatum 28.02.2024).
▪ Deutsche Bundesbank (2024b), Monatsbericht, März 2024, 76. Jg. (2024), H. 3, Frankfurt a.M. ▪ Lucke, Bernd (2023), Bedingungsloses Grundeinkommen für Banken, in: Cicero, 10.12.2023, https://www.cicero.de/ wirtschaft/europaische-zentralbank-bedingungsloses-grundeinkommen-fur-banken (Abrufdatum 11.04.2024).
▪ Lucke, Bernd (2024), Central Bank Losses and the Shareholder Values of Commercial Credit Institutions, Working Paper, Universität Hamburg, https://www.wiso.uni-hamburg.de/fachbereich-vwl/professuren/lucke/bilder/lucke-central- bank-losses-and-the-shareholder-values-of-commercial-credit-institutions.pdf (Abrufdatum 18.02.2024).
▪ Lucke, Bernd u. Meyer, Dirk (2024), Zentralbankverluste und leistungslose Zinseinkommen für Geschäftsbanken – Ein Vorschlag zur Abschöpfung, in: Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft, Bd. 36 (2024), H. 4, S. 252-260..
▪ Market Screener (2024), Hapag-Lloyd AG, https://de.marketscreener.com/kurs/aktie/HAPAG-LLOYD-AG-24857717/ fundamentals/ (Abrufdatum 08.04.2024).
▪ Oesterreichische Nationalbank (2024), Geschäftsbericht 2023, https://www.oenb.at/dam/jcr:14ecd93e-4e54-4975-b784- cc9c3c80e7f3/GB_2023.pdf (Abrufdatum 12.07.2024).
▪ Preuß, Susanne (2022), Wer die Lizenz zum Gelddrucken hat, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurt, 22.02.2022 S. 22.
▪ Wettach, Silke (2023), „Das wird jetzt zu einem Aufschrei führen“: EZB-Ratsmitglied Holzmann fordert höhere Mindestreserve, in: WirtschaftsWoche, Düsseldorf, 27.09.2023, https://www.wiwo.de/politik/europa/mindestreserve-der-geschaeftsbanken-das-wird-jetzt-zu-einem-aufschrei-fuehren-ezb-ratsmitglied-holzmann-fordert-hoehere- mindestreserve/29414688.html (Abrufdatum 13.02.2024).
Rechtsvorschriften und Daten
▪ European Central Bank, ECB Data Portal, https://data.ecb.europa.eu/search-results?searchTerm= (Abrufdatum 20.06.2024).
▪ EU-Vertrag, Fassung aufgrund des am 1.12.2009 in Kraft getretenen Vertrages von Lissabon, Konsolidierte Fassung bekanntgemacht im ABl. EG Nr. C 115 vom 9.5.2008, S. 13, zuletzt geändert durch die Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Kroatien und die Anpassungen des Vertrags über die Europäische Union, des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. EU L 112/21 vom 24.4.2012) m.W.v. 1.7.2013.
▪ Gesetz zur Einführung eines EU-Energiekrisenbeitrags nach der Verordnung (EU) 2022/1854 vom 16. Dezember 2022 (BGBl. I S. 2294, 2325). ▪ Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 19. Dezember 2022 (BGBl. I S. 2478) geändert worden ist – GG.